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Offene Paarbeziehung und Intimität

Nur wenige von uns bekommen die Liebe, nach der wir uns sehnen, und noch weniger von uns wissen, wie man die Liebe, die wir bekommen, akzeptiert. Lassen Sie mich damit beginnen: Untreue ist nicht falsch. Sie ist schmerzhaft.

Die Art und Weise, wie wir über Untreue und Liebesaffären sprechen, basiert hauptsächlich auf einer Moral, die traditionellerweise den Schuldigen sucht und den Täter verurteilt. Manchmal sprechen wir von einem einzigen Täter (auch genannt „der Betrüger“), manchmal ist es der „Eindringling“ der Schuldige, und manchmal gilt sogar die Beziehung als fehlerhaft, da sie eine Affäre zugelassen hat. Ich glaube, dass nichts davon akkurat ist, aber ich werde später im Aufsatz darauf eingehen.

Als systemische Beraterin, die mit Paaren und Familien arbeitet, ziehe ich es vor, Affären und Untreue aus einer symbolischen, relationalen Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Den Akt der Untreue nicht als unmoralisch zu verwerfen, ist nicht gleichbedeutend damit, ihn gutzuheißen. Mein Versuch hier dient dazu, auf das menschliche Leiden, dem ich in meiner Arbeit begegne, eingestimmt zu bleiben und zu versuchen zu verstehen, was Untreue für eine Liebesbeziehung bedeutet. Der Versuch, zu verstehen, was hinter Untreue und Affären steckt, gleicht nicht der Rechtfertigung für Untreue an sich. Ich zeichne hier nur grobe Skizzen zu diesem Thema vor allem aufgrund meiner subjektiven Arbeitserfahrung mit Paaren und Familien. Der Leser ist eingeladen, hier Kommentare aus der eigenen Erfahrung mit Affären und Untreue zu hinterlassen.

Was ist Untreue für Dich und Deinen Partner? Ist es die Suche es nach der Ex auf Facebook? Ist es Pornos anzuschauen? Ist es ein aktives Tinderprofil zu haben? Ist es sexuelle Gedanken über eine bestimmten Person zu haben? Ist es es jemand anderen zu küssen? Ist es an jemand anderen zu denken, während man gemeinsam Sex hat? Ist es Sex mit jemand anderem? Ist es, regelmäßigen Sex mit anderen Menschen zu haben? Wo sind Ihre Grenzen der Treue?

Sie sehen, Untreue hat ein hohes Potenzial für Missinterpretationen. Für jedes Paar, dem ich in meiner Arbeit begegnet bin, hatte Untreue eine eigene Definition. Es ist sehr selten, dass Paare a priori verhandeln, was ihre Grenzen über Untreue sind. Sie denken, dass sie das Thema verhandelt haben, bis es verfickt nochmal wirklich passiert. Der Grad an Ehrlichkeit und Öffnung nimmt zu, sobald eine Affäre sich am Horizont zeichnet. Paare mit toten Beziehungen lassen sich eher scheiden, statt Affären zu haben. Eine Affäre zu haben, ist ein Zeichen, soweit ich das beurteilen kann, dass das Paar immer noch in einander investiert. Sehen Sie, Paare und Familien erschaffen ihr eigenes Regelsystem. Sie verhandeln, meist implizit, darüber, worüber sie reden dürfen und was als Tabu erhalten bleiben soll. Eine Regel könnte sein, dass sich keiner der Partner zu dieser speziellen Regel äußern sollte, sonst… Zum Beispiel würde sie nicht über ihre Erregung sprechen, die auftritt, wenn sie ihren Partner von anderen Menschen begehrt sieht. Er würde auch nicht über seine Fantasie sprechen, die entsteht, wenn seine Frau laut lacht und mit ihrer besten Freundin plaudert. Keiner der beiden würden über ihre Schwierigkeiten – so die Regel – sich über diese Fantasien zu öffnen oder diese in den Anderen wahrzunehmen sprechen.Über männliche Fantasien und sexuelle Öffnung habe ich hier gemeinsam mit David Keith geschrieben.

Möglicherweise ist eine Affäre ein Weg, um ein Gespräch über etwas zu ermöglichen, worüber davor nicht gesprochen werden konnte. Paare balancieren ihre Beziehung zwischen zwei sich ergänzenden Kräften aus: die eine dient dem Schutz ihres spezifischen Regelsystems und die andere zur Überwindung desselben. Probleme entstehen, wenn das Regelsystem zu sehr geschützt wird und die Tendenz, die eigenen Regeln in Frage zu stellen und zu verhandeln und verändern, versagt. Im Bezug auf das Verstehen von starren Regelsysteme ist mir die Arbeit von R.D Laing eine Inspiration. Ich werde an diese Stelle lediglich seine Interviews mit den Familien schizophrener Patienten erwähnen, deren Regelsysteme impenetrabel zu sein scheinen und somit die Kommunikation darüber unmöglich wird. (R.D.Laing, The Divided Self).

Möglicherweise stimuliert eine Affäre (Einführung eines Fremden in das Paarsystem) die Tendenz, sich von den Einschränkungen des eigenen Regelsystems zu lösen, die das Paar selbst geschaffen hat. Eine Klientin erzählte mir, dass sie in ihrer Beziehung zu ihrem Mann nie die Art von Tiefe erlebt habe, als in der Zeit, als sie eine Affäre hatte. Ist das nicht verrückt?

Ich glaube nicht an die „Es bedeutet mir nichts“-Erklärung einer Affäre. Es braucht Energie, um etwas bedeutungslos zu machen.Meistens wird das Thema einer Affäre oberflächlich mit der klassischen Bemerkung behandelt: „Wenn du mich betrügst, bist du tot“. Ende der Geschichte. Die meisten Paare sind so verängstigt von der Idee, das Thema zu vertiefen, dass sie lieber zustimmen, sich in dieser Hinsicht gegenseitig misszuverstehen.

Ich glaube, es gibt einen Moment im Leben eines Paares, in dem sie beide eine symbolische Entscheidung treffen, wer von ihnen nach Aussen gehen wird und eine Affäre haben wird. Affären haben viele Formen und Ausprägungen. Dr. David Keith, mein Mentor und treuer Freund, Kinderpsychiater und Familientherapeut, sagt über Liebesaffären, dass sie lange bevor Sex eine Rolle spielt passieren. Etwas scherzhaft gesagt: Sie könnte sich in ihre Kinder oder in Modemarken oder in das Postulieren von Ideen über Familientherapie und Psychoedukation verlieben, er könnte sich in seine Kreditkarte oder in schnelle Autos oder in seine Fußballmannschaft verlieben.

Ich glaube, dass Untreue viel stärker vom Wunsch nach Intimität und gleichzeitiger Angst davor handelt als von Sex. Die Angst vor Intimität ist sichtbar, wenn Paare es unterlassen, ihre Untreue-Fantasien und ihr Begehren anzuerkennen, und sie ist direkt proportional zur Höhe der Übereinstimmung über das gegenseitige Missverständnis darüber, was Untreue bedeutet. So berauben sie sich auch der Möglichkeit, Intimität miteinander zu erleben. In unserem Artikel über „What Nice Men do not Tell Women“ haben Dr. Keith und ich versucht, einige Beschreibungen von Intimität

  • Mit Dir, verschwindet die Welt.
  • Nackt zusammen.
  • Die Defensive, meine Mauer verschwindet, wir sind verrückt gemeinsam (Pferde stehlen).
  • Ich bin ganz ich selbst, im Bezug auf Dich, Du selbst.

Die intersubjektive Perspektive einer reifen Beziehung funktioniert in etwa so: Wir haben das Bedürfnis, den anderen als uns selbst ähnlich aber anders zu erkennen. Ich bin das Zentrum eines Universums, und du bist Teil meines Universums. Aber ich verstehe, dass du das Zentrum eines anderen Universums bist, von dem ich nur ein Teil bin (Jessica Benjamin, Bonds of Love). Ich liebe das Geheimnis, das mein intimer Partner ist.

Niklas Luhmann hat in seiner Systemtheorie beschrieben, dass sich ein System nur in der Differenzierung zur Außenwelt definieren kann und existiert. (Niklas Luhmann, Soziale Systeme. 1984, S.20 f.) Für Paare ist das ein endloses Paradoxon. Das „Wir“ kann nur existieren, wenn es sich von dem „Sie“ unterscheidet. Es bedeutet auch, dass das „Wir“ das „Sie“ braucht, um ein „Wir“ zu sein. Dieses ist eine der paradoxen Ideen, die mich zum Glauben brachten, dass Paare Affären haben um das „Wir“ mehr zu stimulieren. Die Entscheidung, wer die aktive Person bei der Stimulierung des „Wir“ sein wird, wird lange bevor das Paar der akute Wunsch nach dem „Wir“ spürt, getroffen. Der Akt von Paaren mit Beziehungsprobleme einen Therapeuten um Hilfe zu bitten, ist auf eine Weise ähnlich: Sie führen bewusst eine Person aus dem „Sie“-System ein, um ihr eigenes „Wir“-System zu stabilisieren. Auch die gescheiterte Therapie, die Absetzung des Therapeuten durch das Paar als inkompetent oder nicht hilfreich ist ein Akt der „Wir“-Stärkung. Manchmal geht es dabei darum, sich zu verbinden, um den Eindringling hinaus zu jagen. Der destabilisierende Aspekt einer Affäre hat therapeutisches Potenzial für ein Paar. Doch, will ich hier nicht naiv sein. Es ist im selben Maße wahrscheinlich, daß sich Paare trennen nach einer Affäre, wie daß sie ihre Beziehung zueinander und zu sich selbst vertiefen können.

Aus moralischer Sicht ist es ein Akt der Selbstermächtigung und des Egoismus, eine Affäre zu haben. Es gibt allerdings eine subtilere und nicht so bewusste emotionale Geschichte hinter jeder Affäre. Die Weltliteratur und Kunst nährt sich von Liebesaffären, Beziehungsdreiecken und verrückt gewordener Liebe. Die Spezies Mensch ist besessen von Affären und von verbotenem Verlangen!

Früher war die Treue Frauen auferlegt, um das Erbe und die Abstammung zu sichern. Später in der Geschichte wurde sie zu einem Imperativ für beide Geschlechter. Die Religion spielte eine große Rolle bei der Regulierung von Treue, aber ich werde vorerst nicht auf diesen Aspekt eingehen. Die sexuelle Befreiung der Frau brachte keine erhöhte Intimität für Paare. Sie neigte eher dazu, den Männern die Freiheiten zu nehmen, während das weibliche Verlangen und die Lust immer noch ein Tabu blieb. Ich erinnere mich hier an das Buch und die TV-Serie „I love Dick“ von Chris Kraus und ihr Erfolg bei der Vertiefung der Perspektive auf das weibliche Begehren und die Lust im Zusammenhang mit einer Fantasy-Liebesbeziehung, die letztendlich die Intimität in der Paarbeziehung stimuliert. In der Serie sind Sex und Erotik zentral. Im Leben kann diese Form der Stimulation implizit sein und vielerlei Formen annehmen.

Ich bin in den 80er Jahren im konservativen und kommunistischen Rumänien aufgewachsen, ich bin seit 21 Jahren verheiratet und habe zwei Kinder. Das könnte einen etwas konservativen Blick auf meine Person werfen. Ich glaube, dass man nur so weit fortschrittlich sein kann, wie man bereit ist auch, konservativ zu sein. Diese sind Elemente meiner Biographie und der Kultur in der ich aufgewachsen bin, die mir einen sicheren Hafen bieten, um zusammen mit meinen Klienten über fortschrittlichere Aspekte des Paarseins nachzudenken wie: konsensuelle Nicht-Monogamie, Polyamorie, offene Ehe, Untreue und Affären in ihrem Leben und was diese für ihre Beziehung bedeuten.

Ich bin wirklich neugierig, wie Paare ihre Beziehungen gestalten und neue Regeln schaffen werden, während sie mehr Transparenz und weniger Tabus über Begehren, Leidenschaft und Lust, insbesondere das Weibliche, entwickeln werden. Das Zeichen unserer Zeit ist, dass wir die Regeln in Beziehungen schaffen während wir Beziehung gestalten.

Ich schließe ab mit dem Versuch, der Abiguität zwischen Geborgenheit und Freiheit in einer Liebesbeziehung eine Stimme zu verleihen, indem ich die wunderbare Musikerin Violetta Parissini und ihr Lied „See“ zitiere:

„I fall in love all the time but it makes me happy to wake up next to you“